Schon ein kurzer Blick in die Zeitungen macht klar: Staaten sind in der Welt von heute nicht die einzigen wichtigen Akteure. Rating-Agenturen urteilen über die Qualität von Staatsschulden, die Steuerzahler müssen Banken stützen, was selbst manche Staaten an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringt, große Unternehmen können damit drohen, ihre Produktion zu verlagern, um Einfluss auf das Regierungshandeln nehmen. Und in vielen Gegenden der Welt bestehen Staaten nur auf dem Papier: Vom Kongo über Somalia nach Afghanistan. In Europa kooperieren Staaten in der EU, Regionen und Städte arbeiten auch über Staatsgrenzen hinweg zusammen.
Wie lässt sich dieses Chaos fassen und was folgt aus der Vielfalt der Akteure für die Analyse der internationalen Ordnung?
Parag Khanna, der erst 1977 geborene Gründer der Global Governance Initiative bei der New America Foundation, hat in den letzten Jahren die neue Weltordnung mit dem Begriff „Neues Mittelalter“ zu beschreiben versucht. Denn auch im Mittelalter sei die Welt charakterisiert gewesen von einem Nebeneinander verschiedener mächtiger Akteure, erklärte er 2009 in einem Artikel für die Zeitschrift Foreign Policy. Das Mittelalter sei eine Zeit gewesen, „in der Stadtstaaten ebenso viel zählten wie Länder.“
Und ebenso wie das eigentliche Mittelalter sei auch unsere Zeit geprägt von „Angst, Unsicherheit, Seuchen und Gewalt.“ Die neuen Geißeln der Menschheit seien AIDS und SARS, Terror und Piraterie, Zyklone und der steigende Meeresspiegel. Eine Antwort auf diese Herausforderungen sei noch nicht erkennbar – „Die nächste Renaissance ist noch ein gutes Stück entfernt.“
Doch das „Neue Mittelalter“ sei nicht nur negativ zu bewerten. Erstens gebe es ohnehin kein Zurück zum alten zwischenstaatlichen System, und zweitens biete die neue internationale Ordnung auch Chancen. Denn die klassische Diplomatie sei mit modernen Problemen überfordert. Die Welt sei daher zur Lösung drängender Probleme auf nichtstaatliche Akteure angewiesen. Schon heute investieren zum Beispiel Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation Milliardensummen in die Bekämpfung von Krankheiten. Das „Neue Mittelalter“ könne also eine „gute Sache“ sein, meint Parag Khanna. „Bill Gates sitzt mit am Tisch. Die Macht und die Verantwortung von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen wird auf eine Art anerkannt, die die UN- und staatszentrierte Ordnung nicht zulässt“, bilanzierte er in einem Text für die Website Good.Is.
Nur auf diese Weise ließen sich drängende globale Probleme überhaupt lösen, erklärte Parag Khanna in einem Interview mit Florian Rittmeyer für die Zeitschrift Schweizer Monat. „Wenn wir über die globale Wirtschaft reden, geht es nicht nur darum, dass sich die G-20-Staaten an einem Tisch versammeln. Denn in diesem Fall ist JP Morgan wichtiger als Argentinien. Bei ökologischen Beschaffungsketten und der Reduzierung von CO2-Emissionen ist Wal Mart wichtiger als Irland.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen