Donnerstag, 17. November 2011

Gender Bender: Hilfe für Italiens Comeback

Nach 73 Veranstaltungen an acht Tagen mit 151 Künstlern endete am 5.11. das Gender Bender Kulturfestival in Bologna. Die Veranstalter begrüßten 17.000 Besucher, Ballet- und Theateraufführungen sowie Konzerte waren komplett ausverkauft. Zumindest für die Organisatoren also ein Grund zum Feiern, auch wenn Daniele del Pozzo (Foto), künstlerischer Leiter des Festivals darauf hinwies, dass es in Italien dieses Jahr, dem 150. Jahr der Staatsgründung, eigentlich „wenig zu feiern gibt“.

Für die Künstlerinnen und Künstler, die in den verschiedenen Veranstaltungen zu sehen waren, von Konzerten über Tanz und Theater bis zu Lesungen und Film, war der Zustand der italienischen Gesellschaft allerdings vor allem ein Ansporn, sich kritisch mit dem Umgang von Schwulen und Lesben und den Geschlechterverhältnissen in Italien auseinanderzusetzen.

So wiesen die Sieger der Gender Bender Jukebox-Competition, die Band „Armoteque“, auf die unbefriedigende Situation von Frauen in Italien hin, die viel zu selten gesellschaftliche Machtpositionen einnehmen würden. Die zweitplatzierte Gruppe, „Ménage à Trois“ nutzte ihren Auftritt für eine Demonstration auf der Bühne, um zu fragen, ob junge Italiener nicht „verrückt“ seien, noch in Italien zu bleiben. An zwei Abenden wurde Cristian Ceresolis äußert Italien-kritischer Monolog „La Merda“ aufgeführt. Die nur einminütige Perfomance „Troca“ von Marta Dell’Angelo und Márcia Lança macht die Geschwindigkeit deutlich, mit der sich die Dinge manchmal ändern können. Im Rahmen des umfangreichen Kinoprogramms war unter anderem die Dokumentation „Too much Pussy“ zu sehen, die weibliche Sexualität positiver darstellen möchte, als dies normalerweise passiert. Und Lidia Ravera kritisierte bei der Präsentation ihres Buches „Piccoli Uomini“ die Degradierung der Frauen durch die politische Klasse Italiens zu Objekten und suchte es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen – die meisten männlichen Politiker kamen dabei nicht allzu gut weg. Thematisiert wurden darüber hinaus in anderen Veranstaltungen unter anderem die Wahrnehmung des weiblichen Körpers in der Mediengesellschaft und die Situation von Regenbogenfamilien, da schwulen und lesbischen Paaren die Adoption von Kindern verboten ist. Neben all der anstrengenden inhaltlichen Diskussion wurde natürlich auch gefeiert.

Eine Woche Gender Bender zeigt vor allem das Bild eines anderen, offenen Italiens, das mit dem eigenen Land oft sehr hart und sehr kritisch ins Gericht ging. Es bleibt die Frage: Bringt das irgendetwas? Eine kritische Zivilgesellschaft gibt es in Italien schon sehr lange, die Gegenkultur, die „controcultura“, ist in Italien kein neues Phänomen. Doch trotz dieser großen, lebendigen und kritischen Zivilgesellschaft blieb die gesellschaftliche Modernisierung Italiens in den letzten zwanzig Jahren aus. Daniele del Pozzo, der künstlerische Leiter des Festivals, sprach sogar von „Rückschritten“. Auch die Künstlerinnen und Künstler erklärten immer wieder, Italien lebe zu sehr in der Vergangenheit und konzentriere sich zu wenig auf die Zukunft, ähnlich einer alternden Diva, die in Gedanken bei ihren glorreichen alten Zeiten sei.

Daniele del Pozzo und Elisa Manici, die Organisatoren des Festivals, zeigten sich dennoch überzeugt, dass das Gender Bender-Festival einen Unterschied machen könne. Selbst diejenigen, die sich bereits mit den Zielen des Festivals für mehr gesellschaftliche Liberalisierung identifizieren würden, bekämen neue Ideen und würden sich unerwarteten Impulsen ausgesetzt sehen. „Es ist gut, wenn man von einer Sache überzeugt zum Festival anreist und dann mit Zweifeln wieder abfährt“, meint Daniele del Pozzo. Zudem erreiche das Festival viele Menschen, die sich sonst wahrscheinlich selten mit Fragen von Diskriminierung und Chancengleichheit von Schwulen, Lesben und Frauen auseinandersetzen würden. 40 Prozent des Publikums sind heterosexuell, haben die Organisatoren mit Fragebögen herausgefunden. 55 bis 60 Prozent sind Frauen, das Alter der Besucher reicht von 18 bis 75 Jahren. „Bei den Theatervorstellungen erreichen wir beispielsweise ein Publikum, das sonst nicht ins Theater geht“, sagt Daniele del Pozzo. „Ich glaube zwar nicht, dass eine homophobe Person zu unseren Veranstaltungen kommt“, meint Elisa Manici. „Aber ich denke, was wir hier seit Jahren machen, hat mittelfristig Effekte. Das heißt, wir haben bewusst entschieden, uns nicht zu ghettoisieren oder zu verstecken. Das bringt durchaus Risiken mit sich, etwa für Leute, die nicht offen mit der schwulen oder lesbischen Szene identifiziert werden wollen. Aber gleichzeitig machen wir uns überall in der Stadt bemerkbar.“ Im Laufe der Jahre würden so alternative Standpunkte in der breiteren Bevölkerung bekannt und diskutiert.

Ob Italien, diese alternde, aber nach wie vor bezaubernde Diva, die Selbstreflexionen zur Erneuerung tatsächlich nutzt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wenn eine alte Politikerkaste (die meisten führenden Politiker sind um die 70 Jahre alt) langsam abtritt. In der Zwischenzeit bereiten die Organisatoren das nächste Gender Bender Festival vor, im Oktober 2012, in Bologna.

Gender Bender: Your body is a battleground!

Seit mindestens einer Generation diskutieren Frauen (und manche Männer) über sexuelle Befreiung und Feminismus – was hat sich geändert? Zu wenig, ist das Fazit einer kleinen Konferenz mit dem Titel „Corpi eccentrici“ im Rahmen des Gender Bender Kulturfestivals in Bologna. Insgesamt fünf Rednerinnen beschäftigten sich in ihren Vorträgen mit dem Körperdiskurs in Italien und der westlichen Welt; sie untersuchten Sprache, Werbung und Kunst.

Beispiel Werbung: Die Unterordnung der Frau unter den Mann sei in den Jahren zwischen 1960 und 2000 mehr oder weniger gleich geblieben, sagte in ihrem Vortrag Roberta Sassatelli, Soziologie-Dozentin an der Universität Mailand. Zwar habe sich die Darstellung der Frau in der Werbung durchaus gewandelt, und dabei seien auch Bestrebungen nach Gleichberechtigung wahrgenommen worden. Dies äußere sich aber vor allem darin, dass in der Werbung Frauen heute auch mit Aktivitäten assoziiert werden, die traditionellerweise männliche Domänen waren, zum Beispiel dem Motorradfahren. Gleichzeitig sei Werbung aber auch wesentlicher sexualisierter als vor 50 Jahren. Besonders deutlich werde dies in der Werbung für alkoholische Getränke. Auch die Bierwerbung in den 1950er Jahren zeigte junge, hübsche Frauen und spielte mit sexuellen Andeutungen, etwa in Bezug auf körperliche Schönheit. Doch viel radikaler waren diese Andeutungen nach der Jahrtausendwende, als Bierhersteller mit Frauen in eindeutigen Posen und einer Bierflasche als Phallussymbol zwischen den Schenkeln für sich warben.

Was tun gegen die Darstellung der Frau als Konsumobjekt? Vor allem zu einem riefen die Referentinnen auf: Aktiv werden. „Man darf sich nicht im eigenen Bekanntenkreis aufregen, sondern muss sich auch darüber hinaus äußern“, sagte die Kunsthistorikerin Alessia Muroni (Foto, rechts), die über die Darstellung des lesbischen Körpers in der Kunst sprach. Und unabhängig davon, ob man ihr Anliegen für besonders dringend hält oder nicht, machte Charlotte Cooper von der Universität Limerick in Irland in ihrem Vortrag über Queer Fat Activism auf unterschiedliche Formen des Protests aufmerksam: Von der Arbeit an der Geschichte des Widerstands gegen den Sexismus, über Flashmobs bis hin zu musikalischen Formen des Protests.

Mittwoch, 16. November 2011

Gender Bender: Wenn Lesben und Schwule Kinder haben

Noch schärfer als in Deutschland sind die gesetzlichen Regelungen in Bezug auf die Adoption von Kindern durch Schwule und Lesben in Italien: Die Adoption ist schlicht verboten. Wie es Regenbogenfamilien in Italien geht, wurde entsprechend gleich auf mehreren Veranstaltungen des Gender Bender Festivals in Bologna diskutiert, unter anderem nach einem Dokumentarfilm und bei einer Buchvorstellung.

Zwei Jahre lang haben die Regisseurinnen Nadia Dalle Vedove und Lucia Stano zwei Regenbogenfamilien begleitet: Ein lesbisches Paar mit drei Kindern und ein schwules Paar, das versucht, sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Der daraus hervorgegangene Dokumentationsfilm „Il lupo in calzoncini corti“ zeigt erstens denn Alltag der Mailänder fünfköpfigen Regenbogenfamilie, der sich so gut wie überhaupt nicht vom Alltag einer traditionellen Familie unterscheidet: Kinder lachen, Kinder schreien, Kinder toben, Kinder gehen zur Schule. Aber sind Kinder nicht gerade in der Schule besonderen Hänseleien ausgesetzt, wenn sie nicht bei Mutter und Vater aufwachsen? Der Film lässt die Kinder selbst zu Wort kommen: Die Mitschüler würden oft fragen, das könne auch nerven. Aber abgesehen davon gebe es keine besonderen Vorkommnisse. „Ich fühle mich nicht schlechter oder besser als die anderen“, sagt eines der Kinder.

Daneben zeigt der Film aber auch die Schwierigkeiten homosexueller Paare, die sich einen Kinderwunsch erfüllen wollen. Da Adoption in Italien nicht möglich ist, müssen schwule oder lesbische Paare erhebliche Hürden überwinden, um dennoch Eltern zu werden. Viele versuchen, eine Leihmutter in den USA, Kanada oder der Schweiz zu finden. Es gibt durchaus Frauen, die dazu bereit sind, doch das Vorgehen ist mit hohen Kosten und Risiken verbunden. Nicht immer werden die Frauen nach der künstlichen Befruchtung auch tatsächlich schwanger. So auch bei dem im Film gezeigten schwulen Paar aus Rom, dass drei Mal vergebens nach Amerika flog. Erst beim vierten Mal wurde die Leihmutter schließlich schwanger. Der Film schließt mit der berührenden Freude des Paares und der Leihmutter, als deren Schwangerschaftstest endlich positiv ausfällt.

Über seine Erfahrungen als Vater von drei Kindern in einer schwulen Beziehung gab bei einer Buchvorstellung Claudio Rossi Marcelli (Foto, Mitte) Auskunft. Der Journalist ist Autor von „Hallo Daddy“. Claudio Rossi Marcelli und sein Partner, mit dem er seit etwa 10 Jahren eine Beziehung führt, haben ebenfalls Leihmütter gesucht, um Väter zu werden. Das Paar hat drei Kinder, bei zweien ist Claudio Rossi Marcelli der biologische Vater, bei einem sein Partner. Doch das sei mehr von theoretischem als von praktischem Interesse: „Wir machen keinen Unterschied zwischen den Kindern. Der biologische Aspekt spielt absolut keine Rolle“. Das größte Problem sei, dass es keinerlei rechtliche Möglichkeit für den nicht-biologischen Vater gebe, Verantwortung zu übernehmen. Wenn derjenige, der rechtlich für die Kinder verantwortlich sei, beispielsweise die Beziehung beende, habe der Partner keine Handlungsmöglichkeit, um zum Beispiel das Sorgerecht für die Kinder zu bekommen. Ähnlich im Falle eines Unfalls des biologischen Vaters: Da keine Adoption möglich sei, könne es passieren, dass die Kinder in eine Pflegefamilie gegeben würden. Zwar ließen sich privatrechtliche Vereinbarungen treffen, die das Sorgerecht dem Partner übertragen, aber ob die am Ende auch angewandt würden, liege weitgehend in der Entscheidungshoheit des Richters.

Und wie reagieren Freunde und Bekannte auf die Vaterschaft? „Es hat absolut keine negativen Reaktionen gegeben“, sagt Claudio Rossi Marcelli. Trotz der konservativen rechtlichen Lage sei eben auch das Italien: „Sobald die Kinder da sind, freuen sich alle“.

Samstag, 5. November 2011

Gender Bender: Troca - Wandel

„Auf Portugiesisch bedeutet „Troca“ Wandel. Der Wachwechsel, sich ändernde Gepflogenheiten, wirtschaftlicher Wandel in anderen Ländern, […] Wechsel der Identitäten […]. Eine einminütige Performance in Zusammenarbeit mit der portugiesischen Tänzerin Márcia Lança.“ So kündigt das Programm des Gender Bender Festivals in Bologna die Performance „Troca“ von Marta Dell’Angelo und Márcia Lança an. Was wird also während dieser einen Minute passieren? Ein Tanz?

Die Lösung kann manchmal so simpel sein und dabei so offen für vielfältige, persönliche Interpretationen. Eine Frau liegt vor Beginn der Performance auf dem Boden, draußen, neben dem Museum für Moderne Kunst Mambo, scheinbar schlafend, aber ganz normal bekleidet. Plötzlich geht von rechts aus einer nicht-einsehbaren Ecke eine nackte Frau auf sie zu und zieht sie, Stück für Stück aus, um sich selbst die Kleidung der schlafenden Frau anzuziehen: Schuhe, Strümpfe, Hose und Unterwäsche, Top, auch Schmuck. Anschließend setzt sie ihren Weg fort und verschwindet. Die schlafende Frau wachst auf, steht auf, und geht in die entgegengesetzte Richtung davon. 

Nur ein Augenblick, und schon hat sich alles verändert.

Donnerstag, 3. November 2011

Gender Bender: Mit dem Schlachtermesser zur Party

Normalerweise mache ich nur selten Party-Fotos, aber bei der Omonoia-Party am Mittwochabend auf dem Gender Bender Festival in Bologna fiel das ausgesprochen leicht. Die Party stand unter dem Motto „Tragica fine“ („Tragisches Ende“). An die Besucher erging die Aufforderung, dieses Motto kreativ zu interpretieren. Während auf der Bühne ein überdimensionaler Totenkopf aufgebaut wurde, warfen sich also viele Gäste in Schale und kamen in einem dem letzen Ende angemessenen Dress: Mit Schlachtermesser. Mit Strick um den Hals. Mit aufgeschlitzter Kehle. Halloween lag zum Glück noch nicht allzu weit zurück. Und derart aufgestylt konnten sie es dann gar nicht erwarten, endlich fotografiert zu werden. Kaum war die Kamera zu sehen, kamn schon die Frage: „Machst du ein Foto?“. Klar kein Problem!

Musik wurde natürlich auch gespielt. Auf dem Programm stand ein Live-Auftritt des Berliner DJs Electrosexual und des Duos Scream Club, ebenfalls aus Berlin. Ergänzt wurde der Auftritt von den DJ-Sets von Protopapa, Omonoia Resident, und Little Fluffy Luke.

Gender Bender: Too much Pussy!

Die eigentlich recht breite öffentliche Auseinandersetzung mit Sexualität und Sex wies lange eine merkwürdige Lücke auf: Weibliche Sexualität kam darin kaum vor. Der Mann wurde als sexuell aktives Wesen dargestellt, dem die Frau entweder zur Verfügung steht, oder nicht, die sexuellen Wünsche und Bedürfnisse der Frauen selbst dagegen wurden meist nicht ernst genommen. Entsprechend begründeten Vergewaltiger ihre Taten damit, dass die Frauen doch eigentlich gewollt oder die Tat wenigstens verdient hätten – „Die musste mal richtig rangenommen werden.“ Auch in Sprüchen gegenüber Lesben zeigt sich dieses Denken, wenn ihnen vorgehalten wird, sie hätten einfach nur noch nicht die richtigen Erfahrungen mit einem Mann gemacht. 

Von daher ist es zu begrüßen, wenn Frauen sich des Themas „Weibliche Sexualität“ annehmen und offensiv damit umgehen. Der Film „Too much pussy. Feminist Sluts, a Queer X Show“ (Foto, GMfilms), gezeigt auf dem Gender Bender Festival in Bologna, dokumentiert so einen Ansatz. Sieben Frauen, Emilie Jouvet, Wendy Delorme, Judy Minx, Madison Young, Sadie Lune, Mad Kate und DJ Metzgerei machen sich auf eine Tour durch Europa. Es geht von Berlin nach Brüssel, Paris, Köln, Kopenhagen, in eine nicht genannte schwedische Stadt (Stockholm?) und schließlich zurück nach Berlin. Überall führen sie ihre Queer X Show auf, setzen sich sehr explizit mit Sexualität auseinander. All das zeigt die Dokumentation in teils recht drastischen Bildern.

Der Film hat interessante Momente. Etwa wenn sich die Protagonistinnen beklagen, dass sich nach wie vor meistens Männer zum Beispiel als Ärzte mit den weiblichen Geschlechtsorganen auseinandersetzen, diese vielen Frauen aber unbekannt sind – und dann mit Spiegel und Lupe daran gehen, diese Unkenntnis abzubauen. Wenn sie feststellen, dass weibliche Sexualität immer noch oft entweder sehr positiv dargestellt wird (Sex mit Frauen als Paradies) oder sehr negativ (stinkend, dreckig), es aber keine mittlere Position gibt. Wenn sie in ihrer Show den Selbst-Exhibitionismus auf Facebook und MySpace thematisieren und kritisieren.

Aber zwischen diesen Momenten ist der Film leider unglaublich dröge, immer demselben Muster folgend: Die Gruppe steigt ins Auto. Fünf Minuten lang wird gezeigt, was während der Fahrt passierte (Gelächter, einzelne Gesprächsfetzen, kleine Provokationen auf der Raststätte). Dann kommt die Gruppe am Ziel an, bereitet ihre Show vor und zieht sie mal mehr, mal weniger erfolgreich durch. Anschließend noch eine kurze Nachbesprechung, und ab geht’s in die nächste Stadt. Bei diesen schier endlosen Wiederholungen geht die eigentlich interessante Botschaft des Films ziemlich schnell verloren. Vielleicht ist es ein Problem, dass zwei der Protagonistinnen, Wendy Delorme und Emilie Jouvet, auch das Buch schrieben oder Regie führten. Denn so erinnert der Film mehr an ein Erinnerungsvideo für die Gruppe selbst (à la „Was hatten wir für eine coole Zeit, weißt du noch?“) als an einen Film, der sich an ein fremdes Publikum richtet. Eine Konzentration aufs Wesentliche wäre eindeutig mehr gewesen.

Gender Bender: Der heimliche Lauscher


Es ist ein unangenehmes Gefühl, als Gast bei einem Familientreffen anwesend zu sein, dass auf einmal völlig aus dem Ruder läuft. Auf einmal beschimpft sich die Familie auf heftige Art und Weise, die Familienmitglieder holen die ganze schmutzige Wäsche der letzten Zeit aus der Tasche, um sie mal so richtig durchzuwaschen. Man kann als Gast nicht einfach aufstehen und gehen – das würde auffallen – und interessant ist die Szene ja auch irgendwie. Seine Meinung zu äußern, wäre allerdings komplett unangemessen. Also sitzt man da, hört zu und hofft, dass einen niemand bemerkt.

Ungefähr so war meine Stimmung gestern bei der Aufführung des Monologs „La Merda“ („Die Scheiße“) von Cristian Ceresoli im Teatrino degli Illusi, eine Veranstaltung im Rahmen des Gender Bender Kulturfestivals in Bologna. Und was für schmutzige Wäsche gewaschen wurde, Berge schmutziger Wäsche, die Wäsche ganz Italiens. Was wir über das „Belpaese“ zu hören bekamen, war alles andere als appetitlich, das Panorama eines Landes, das sich ergeht in oberflächlichem Konsumismus, in Sexismus und Gewalt. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, die einen großen Traum verfolgt: Ins Fernsehen zu kommen. Und dafür geht sie durch die Hölle. Sie unterwirft sich einem gnadenlosen Diktat anderer. Macht Diäten, nimmt zu, erträgt sexuelle Gewalt, flüchtet in Traumbilder. Zweimal isst sie ihre eigenen Exkremente. Und das alles nur, um an Ende einmal die italienische Nationalhymne singen zu dürfen.

Die Leistung der Schauspielerin, Silvia Gallerano, ist beeindruckend. Nackt sitzt sie über 40 Minuten auf einem riesigen Hocker und erzählt, unterstützt von ausdruckstarker Mimik und Gestik, die Lebensgeschichte der Protagonistin. Sie spricht leise, dann schnell, dann schreit sie, den Finger in die Höhe gestreckt. Eine riesige Textmasse. Eng ausgedruckt entspricht sie zehn Seiten.

Man ging also hart mit der eigenen Gesellschaft ins Gericht und das Publikum lechzte geradezu nach mehr. Heftiger Applaus nach jedem der drei Akte, dazu Szenenappalaus. Eine solche Selbstkritik erlebt man selten. Und manches stimmt ja auch. Es gibt junge Frauen, oder besser: Mädchen, deren Ziel es ist, leicht bekleidetes Showgirls im Fernsehen zu werden, und es gibt diese Showgirls, die anschließend politische Karriere machen. Das Fernsehen als Pforte zur Macht. Berlusconis Sex-Eskapaden sind mittlerweile sowieso legendär. Ein Witz, aber für wen? Über die Mädchen, die ihm zur Stelle waren, weiß man meistens wenig.

Natürlich ist das Bild, dass dieses Theaterstück vermittelt, nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist das Publikum, das schockiert ist ob dieser gesellschaftlichen Entwicklungen. Und mit diesem Publikum würde man sich nur zu gerne solidarisieren, ihre Partei ergreifen. Aber: Es ist eben eine Sache, ob man sich selbst kritisiert, oder andere. Im ersten Fall darf die Kritik viel härter ausfallen als im zweiten. Das ist mein Dilemma. Am Ende der Aufführung heftiger Applaus. Ich klatsche mit und hoffe, dass es niemand sieht.

Dienstag, 1. November 2011

Gender Bender: Berlin zu Gast in Bologna

Unglaublich, wie präsent Berliner Musiker im Clubbing-Programm des Gender Bender Festivals im italienischen Bologna sind. Bei immerhin vier von sechs musikalischen Veranstaltungen wirken Künstler mit, deren (Wahl-)Heimat Berlin ist.

Schon am ersten Abend gestalteten zwei Künstler mit Verbindungen nach Berlin die Eröffnungsparty des Festivals: Der irische DJ Cormac, der beim Berliner Label Bpitch Control veröffentlicht, und der Wahlberliner Snax.

Gestern dann unternahm die Partyreihe CockTail D'Amore einen Ausflug von der Spree in die Emilia Romagna. Die CockTail D'Amore wird organisiert vom italienischen Duo Discodromo, das seit 2008 in Berlin beheimatet ist, und Berghain-Resident Boris. Das Publikum reagierte auch in Bologna ausgelassen und feierte bis weit in den Morgen.

In den nächsten Tage geht es ähnlich weiter. Morgen, am 2. November, ist Electrosexual (Foto) zu Gast, der unter anderem mit Peaches zusammenarbeitet und zwar eigentlich aus Frankreich kommen, aber ebenfalls Berlin zu seiner Wahlheimat erkoren hat. Am 5. November ist bei der Girls Town-Party nicht nur Leiterin Zoe zu Besuch, sondern auch die Djane Metzgerei, die nebenbei unter anderem die avantgardistische queer-feministische Berliner Zeitschrift Bend Over entwickelt hat. Begleitet werden sie von Mz Sunday Luv, bekannt unter anderem aus der mittlerweile geschlossenen Bar 25.

Immerhin zwei Veranstaltungen laufen ganz ohne Berliner Beteiligung ab. Die Horse Meat Disco, die am 4. November stattfinden wird und aus London kommt, und das Konzert der Mailänder Gruppe Egokid, die ihr Album „Ecce Homo“ heute Abend vorstellen.

Lidia Ravera: "Liebe gehört nicht auf den Marktplatz!"

Furioser Auftritt von Lidia Ravera (Foto) beim Gender Bender Kulturfestival in Bologna. Die Autorin und Journalistin stellte ihr neues Buch vor, „Piccoli Uomini“ (Kleine Männer). Die ebenso polemische wie lustige Grundidee des Buches: Jenen Blick, mit dem Silvio Berlusconi und Co. bisher Frauen begutachteten, umzudrehen und auf die (männliche) politische Klasse selbst anzuwenden, also nur noch oberflächliche Äußerlichkeiten zu betrachten. Nicht jeder Politiker kommt dabei schlecht weg. Berlusconi schon, der als ziemlich hässlich dargestellt wird, aber über Pier Ferdinando Casini beispielsweise weiß die Autorin auch ein oberflächliches Lob auszusprechen. Wäre ja auch noch schöner, wenn alle italienischen Politiker hässlich wären.

Die Diskussion mit der Autorin ging bald etwas tiefer, blieb aber angenehm provokativ. Die Idee des Buches, erklärte sie, sei das hoffentlich der eine oder andere Mann die Geschichten lese, sich ob der Oberflächlichkeit beleidigt fühle und daraus den Schluss ziehe, sich gegenüber Frauen anders, respektvoller, zu verhalten.

Die Situation von Frauen in Italien sei so schlecht wie eh und je, bilanziert die Autorin ernüchtert. Denn die zunehmende prekäre Beschäftigung mit nur kurze Zeit laufenden Arbeitsverträgen lasse gerade junge Frauen ohne Schutz. Die Frage: „Planen Sie in nächster Zeit Kinder“ sei bei Vorstellungsgesprächen weiter Gang und Gäbe, und sollte eine junge Frau tatsächlich schwanger werden, sei die Kündigung damit gleichzeitig so gut wie ausgesprochen, weil der Vertrag einfach nicht mehr verlängert werde. Im Ergebnis verschöben immer mehr Frauen den Kinderwunsch. „Später, später, und irgendwann sind sie 45 und es kommen keine Kinder mehr“, sagt sie. Tatsächlich hat Italien eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa.

Zur Lösung schlägt die Journalistin unter anderem vor, Männer zu verpflichten, ihren Job zu unterbrechen, um für die eigenen Kinder zu sorgen, damit Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt gleichgestellt werden. Große Hoffnung setzt sie auch in die Frauenbewegung, die im Februar Massen auf die Straße brachte, um gegen Berlusconi demonstrierten. Die Bewegung könne helfen, „dieses Land aus der Scheiße zu holen, in der es gelandet ist“, meinte Lidia Raver unter dem Applaus des Publikums.

Ist aber nicht Berlusconi selbst ein Ergebnis der sexuellen Befreiung, die die 1968er angestrebt haben? Nein, meint Lidia Ravera. Denn es ging um die Befreiung der Lust, nicht um eine Logik des Kaufens. „Unsere Titten waren kein Investment in die Zukunft“, ruft sie ins Publikum. Das zentrale Element von Liebe und Freundschaft sei gerade, dass diese Gefühle gratis seien und nichts kosteten. „Der Kauf ist der Tod der sexuellen Befreiung“, rief sie. Und stellte zum Abschluss unter letztem Applaus fest, dass die Transformation jeder menschlichen Beziehung zu einem Objekt auf dem Marktplatz eines der zentralen Probleme der heutigen Zeit sei.